von Pfrarrerin Sonja Mitze
Predigttext: 2. Mose 33, 18-23
18 Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! 19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. 21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen. (Luther 2017)
Gott schenke uns ein offenes Wort für unser Herz und ein offenes Herz für sein Wort. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Ist es Ihnen auch schon mal so ergangen, dass Sie das Bedürfnis hatten, Gott ganz nah zu sein? Dass Sie sich danach gesehnt haben, nicht nur zu glauben, dass es Gott gibt und dass er unser Leben begleitet, sondern ihn wirklich zu spüren, Zeichen und Wunder seiner Nähe mitzuerleben, seine Stimme zu hören, ja, ihn mit eigenen Augen zu sehen? Wie würde sich das wohl anfühlen? Was würde dann wohl passieren?
Jemand, der Gott ganz nahe war, war Mose. Er hatte sich das nicht ausgesucht. Eher war Gott derjenige gewesen, der ihn für diese Aufgabe ausgesucht hatte, während Mose sich versucht hatte, vor dem Job zu drücken. Aber Gott hatte keine Einwände, Ausreden und Ausflüchte gelten lassen und so hatte Mose schließlich klein beigegeben und war nach Ägypten zu Verhandlungen mit dem Pharao aufgebrochen. Die waren zwar lange Zeit nicht gerade von Erfolg gekrönt gewesen, aber am Ende hatte Mose Israel dann doch in die Freiheit geführt. Am Berg Sinai hatte Gott einen Bund mit seinem Volk geschlossen und Mose war hinaufgestiegen, um von Gott die Gebote zu empfangen. Gott hüllte den Berg in eine Wolke, um sich dann mit seiner Herrlichkeit dort niederzulassen und mit Mose zu reden. 40 Tage und 40 Nächte lang.
Das Volk wird ungeduldig. Sie wissen nicht, was mit Mose geschehen ist und ob er überhaupt noch mal wiederkommt. Niemand wagt, ihm in die Wolke hinein zu folgen und nachzuschauen. Aber sie ahnen: Ohne Mose und diesen unsichtbaren Gott, der uns aus Ägypten herausgeführt hat, sind wir aufgeschmissen. Und so bauen sie sich ihren eigenen Gott: ein goldenes Kalb, ein Gott, den man sehen und anfassen kann. Als Mose mitten in die Feierlichkeiten hineinplatzt, zerbricht er vor lauter Zorn die Tafeln mit den Geboten.
Gott lässt das Volk weiterziehen, aber er mag nicht mehr selbst mitgehen. Er schickt seinen Engel, der vor dem Volk hergeht. Und so schlägt Mose die Stiftshütte, also das Zelt, das eigens für Gott gebaut wurde, in einiger Entfernung vom Lager auf. Wenn Mose ins Zelt hineingeht, kommt die Wolkensäule vom Himmel herab und stellt sich vor den Eingang der Stiftshütte. Gott, so heißt es, redete mit Mose wie ein Mann mit seinem Freund redet.
Mose bittet Gott, dass er sich wieder persönlich um sein Volk kümmert, dass Gott selbst wieder die Führung übernimmt und vorangeht. Und Gott verspricht es ihm. „Du hast Gnade gefunden vor meinen Augen“, sagt er zu Mose, und: „Ich kenne deinen Namen.“
Und dann wagt Mose um etwas zu bitten, was ihm vermutlich schon länger unter den Nägeln brennt. Er ist derjenige, der Gott am nächsten steht. Er hat ungewöhnliche Dinge gesehen, über die man sich nur wundern kann: Brot, das man in der Wüste sammeln kann, Wasser, das plötzlich aus Felsgestein hervorquillt, wenn man dagegen schlägt. Er hatte mit Gott geredet, kannte seine Stimme, aber eines ist auch ihm bisher versagt geblieben: Er hat Gott noch nie mit eigenen Augen gesehen. Wann immer Gott gekommen war, um sich mit ihm zu treffen, hat der seine Herrlichkeit in eine Wolke gehüllt.
Nun, uns mag es nicht so viel ausmachen, mit jemandem zu reden, den wir nicht sehen können. Wir kennen das ja vom Telefonieren. Für Mose muss es aber doch recht seltsam gewesen sein. Und so traut er sich schließlich, seine große Bitte, seinen Herzenswunsch auszusprechen:
Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen!
19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.
21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.
22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin.
23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
(Ex 33,18-23)
„Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“, bittet Mose.
Da gibt es nur ein klitzekleines Problem: „Mein Angesicht kannst du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ Gott kann man nicht sehen. Die Wolkensäule, so wird spätestens jetzt klar, ist keine Geheimnistuerei, um sich für die Menschen interessanter zu machen, sondern einzig und allein zu deren Schutz da. Vielleicht ist es mit Gott ein bisschen so wie mit der Sonne: Ohne Sonne gäbe es kein Leben, aber wenn man der Sonne zu lange ausgesetzt ist, verbrennt man, wenn man zu lange in die Sonne schaut, erblindet man. Kein Mensch kann Gottes Glanz und Herrlichkeit aushalten.
Und doch belässt Gott es nicht bei einem einfachen: Geht nicht! Kreativ, wie er ist, überlegt er sich ein Experiment. Der Versuchsaufbau: Zunächst soll erst einmal Gottes Güte an Mose vorübergehen und Gottes Name soll vor ihm ausgerufen werden: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ Güte, die mit Gnade und Erbarmen einhergeht.
Und dann spricht Gott von einem Raum, der sich bei ihm befindet.
Sofort kommt mir ein Psalmwort in den Sinn: Du stellst meine Füße auf weiten Raum. (Ps 31,9) Gottes Raum ist nicht von Mauern begrenzt, die uns einschränken. Gottes Raum ist weit – unendlich weit, voller Möglichkeiten, voller Freiheit. Und doch ist es kein bodenloser Raum, der uns keinen Halt bieten würde: Da gibt es auch Felsen, die unseren Füßen festen Grund bieten. Sicherheit in der Weite der Fülle. Damit wir uns nicht in diesem unendlichen Raum verlieren. In diesen weiten Raum stellt Gott Mose in den Schutz einer Felskluft.
Und dann, so schlägt Gott es vor, wird er an Mose vorübergehen – in all seiner Herrlichkeit. Und dabei wird Gott seine schützende Hand über ihn halten. Erst wenn er an ihm vorübergegangen ist, erst wenn die Gefahr vorüber ist, wird Gott seine Hand wegnehmen, die Sicht freigeben und Mose wird hinter ihm her sehen dürfen.
Soweit die Versuchsbeschreibung. Die eigentliche Durchführung des Experiments wird übrigens nicht berichtet. Und das ist nicht verwunderlich. Es gibt Menschen, die von sich behaupten, ähnlich wie Mose, Gottes Herrlichkeit begegnet zu sein. Man mag darüber denken, wie man will, aber sie erzählen alle, dass dieses Erlebnis für sie so unbeschreiblich, so außergewöhnlich war, dass sie es nicht in Worte fassen können, weil unsere menschlichen Worte dafür einfach nicht ausreichen.
Gottes Herrlichkeit sehen – zumindest von hinten, in geschütztem Rahmen – das klingt schon nach einem interessanten Erlebnis. Aber so unmittelbar haben das wohl nur wenige erlebt. Außer von Mose wird es uns noch von Elia berichtet. Und es gab Propheten wie Jesaja, die Gott in Visionen gesehen haben. Aber dann kam Jesus und der Evangelist Johannes schreibt über ihn: „Wir sahen seine Herrlichkeit.“ Weil Jesus ein Mensch ist wie wir, muss er seine Herrlichkeit nicht zu unserem Schutz verstecken. Ganz offen zeigt er sie, indem er Zeichen und Wunder tut. Doch trotz aller Offenheit ist es nicht so einfach: die Jünger glauben, dass sich in Jesus Gottes Herrlichkeit zeigt. Andere können das nicht so sehen. Es ist wohl eine Frage der Wahrnehmung. Die Menschen jedenfalls, die es wahrnehmen konnten, diejenigen, die an irgendeinem Punkt in ihrem Leben das Gefühl hatten: Hier ist mir Gott begegnet, die erzählen, dass dieses Erlebnis ihr Leben von Grund auf verändert hat.
Auch Mose hatte sich verändert, als er dieses Mal vom Gottesberg herabstieg. Von der Begegnung mit Gottes Herrlichkeit strahlte er so sehr, dass das Volk Israel es nicht aushielt. Selbst der Abglanz der Herrlichkeit Gottes ist offenbar schwer auszuhalten. Und so zieht Mose eine Decke über sein Gesicht, wenn er mit Israel redet.
Gott wirklich zu begegnen – das wäre schon was.
Aber was ist, wenn wir ihn einfach nicht wahrnehmen können? Was ist wenn wir vor lauter Wut oder Trauer oder Enttäuschung oder was uns sonst beengt den weiten Raum der Möglichkeiten, die Gott uns schenkt, nicht mehr sehen können? Vielleicht stehen wir dann ja gerade wie Mose in einer Felsspalte, aber statt den Halt und den Schutz und die Geborgenheit zu spüren, fühlen wir uns beengt und unwohl. Was ist, wenn wir Gott deshalb nicht sehen können, weil uns die Augen gehalten sind. Dann ist es durchaus möglich, dass dies der Moment ist, in dem Gott uns am nächsten ist. Der Moment, in dem wir in der Enge unseres zerklüfteten Lebens stehen, und Gott seine schützende Hand über uns hält. Manchmal können wir das später, in der Rückschau erkennen, wenn Gott seine Hand weggezogen und uns den Blick frei gegeben hat. Was, wenn wir dann Gottes Güte und Herrlichkeit in unserem Leben erkennen könnten? Würden wir uns anders fühlen? Fiele es uns leichter zu glauben und darauf zu vertrauen, dass Gottes Güte uns immer begleitet?
Wie würde sich unser Leben dann verändern, wenn wir aus der Enge der Kluft herausträten und ohne Angst den weiten Raum der Freiheit beträten? Und was, wenn wir schon in der Felsspalte auf Gottes Güte und Herrlichkeit vertrauen würden?
DENN DER FRIEDE GOTTES, DER HÖHER IST ALS ALLE VERNUNFT, WIRD UNSERE HERZEN UND SINNE IN CHRISTUS JESUS BEWAHREN Amen
Digitale Kollekte
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Herzlichen Dank für die Unterstützung.
Pfarrerin
Sonja Mitze