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©2021 Friedrich Gasper

In Kafarnaum nannte man uns die fünf Chaverim. Chaverim ist hebräisch und heißt Freunde. Wir waren eine ganz besondere Clique. Sie werden wahrscheinlich sagen, dass jede Clique natürlich von ihrer Einzigartigkeit und ihrer Besonderheit überzeugt ist. Es wird Sie daher nicht wundern, wenn ich das auch von unserer Clique behaupte. Aber lesen Sie erst unsere Geschichte, und beurteilen Sie dann, ob ich recht habe oder nicht.

In Kafarnaum fielen wir dadurch auf, dass wir fünf Freunde waren, die, von außen betrachtet, nicht zueinander passten. Unsere einzige Gemeinsamkeit bestand darin, dass jeder von uns in der bürgerlichen Gesellschaft als Außenseiter betrachtet wurde. Dabei waren wir doch einfach nur fünf sehr unterschiedliche Typen, die sich aber hervorragend ergänzten.

Da war der Tischlergeselle Elon, die Eiche aus Galiläa, riesengroß, bärenstark und trinkfest. Wenn man seine riesigen Hände sah, konnte man nicht glauben, dass er damit trotzdem ganz wunderbare filigrane Möbel machen konnte.
Im Gegensatz zu Elon war Jona klein und zierlich. Wie er wirklich hieß und wo er her kam, wussten wir nicht. Das war uns aber auch völlig egal. Vermutlich stammte er von den Golanhöhen. Jedenfalls kannte er sich im Grenzgebiet zu den zehn unabhängigen Städten, den Dekapolis, sehr gut aus. Es gab da vermutlich keinen Schmuggelpfad, den er noch nicht erkundet hatte. Wir nannten ihn Jona, die Taube, weil er immer darauf aus war Konflikte zu vermeiden. „Ist schlecht fürs Geschäft“ war sein ständiger Spruch in solchen Fällen. Wenn wir mal wieder Ärger mit den Bürgern von Kafarnaum hatten, führte Jona die Gespräche, um Streitereien beizulegen.
Dann war da noch David, der von Gott geliebte. Er machte seinem Namen alle Ehre, denn er hatte die Gabe, sich überall beliebt zu machen. Es gab in Kafarnaum und Umgebung keine Feier und keine Hochzeit, zu der er nicht eingeladen war. Und weil ihm kaum jemand etwas abschlagen konnte, schaffte er es immer wieder, dass wir auch eingeladen wurden. Dabei konnten wir nicht nur kostenlos die besten Weine und das köstlichste Essen genießen, sondern auch Kontakte für unseren kleinen „Nebenerwerb“ knüpfen. Ich komme nachher darauf zurück. Aber zuerst will ich noch Gideon und mich selbst vorstellen.
Gideon war etwas Besonderes. Sein Vater war der Hauptmann des kleinen römischen Militärpostens und seine Mutter eine Jüdin. Dass er halb Römer war, störte uns nicht im Geringsten. Im Gegenteil, so wussten wir fast immer, wo die Soldaten gerade Streife liefen und konnten so unsere Ausflüge in das Gebiet der Dekapolis besser planen.

Außerdem war der Vater von Gideon für einen Römer ein ganz anständiger Kerl. Ja, es gab auch unter den römischen Soldaten welche mit Charakter. So einer war Gideons Vater. Er interessierte sich nicht für die große Weltpolitik, sondern nur dafür, dass es seinen Leuten gut ging. So hatte er auch, als einer seiner Untergebenen schwer krank wurde, kein Problem damit, den neuen Rabbi aus Nazareth um Hilfe zu bitten.
Jesus, so hieß der neue Rabbi mit den Wunderkräften, hatte in seiner Heimatstadt Nazareth Ärger mit den Bürgern, die nicht einsehen wollten, dass er anders war als sie. Als sie ihn sogar umbringen wollten, verließ er Nazareth und zog zu uns nach Kafarnaum. Hier hatte er zahlreiche Sympathisanten und von hier aus zog er dann mit seinen Jüngern kreuz und quer durch Israel, um den Menschen von Gott zu erzählen. Dabei wirkte er zahlreiche Wunder und heilte auch viele Kranke, was für mich noch sehr bedeutend wurde.  
Ich selbst heiße eigentlich Ismael, aber weil ich von Kindheit an schwer gehbehindert war, wurde ich von allen nur Pisseach, der Gelähmte, genannt. Trotz meiner Behinderung gehörte ich zur Clique und wurde als vollwertiger Chaver anerkannt. Damit ich meine Freunde überall hin begleiten konnte, hatte Elon für mich eine besondere Trage gebaut. Die war sogar verstellbar. Dadurch konnte ich, je nach Wunsch, liegen oder sitzen.   
Eine Besonderheit meiner Trage war, dass in den Holmen und unter der Sitzfläche kleine Verstecke eingebaut waren. Das war sehr praktisch für unseren kleinen „Nebenverdienst“. Immer wieder beauftragten uns „ehrliche“ Bürger aus Kafarnaum, Waren über die Grenze zu bringen, ohne dass der Zöllner in seiner Zollstation davon etwas mitbekam. Das war relativ einfach. Wer kontrollierte schon gründlich einen Schwerbehinderten auf einer Bahre. Wenn wir mal etwas Größeres schmuggeln mussten, trugen Elon und David die Bahre und David verwickelte den Zöllner in ein Gespräch, während Jona und Gideon die Ware auf einem Schleichweg am Zoll vorbeibrachten. Das war ein durchaus einträgliches Geschäftsmodell, das aber nun bald enden sollte. Der Grund dafür war letztlich Jesus. Aber lassen Sie mich davon der Reihe nach erzählen.
Ich hatte ja schon gesagt, dass Jesus mit seinen Anhängern kreuz und quer durch Israel zog, von Gott erzählte und zahlreiche Kranke heilte. Jona kam als erster auf die Idee, dass ich mich doch auch an ihn wenden könnte, damit er mich von meiner Lähmung heilt. Wir überlegten gemeinsam und diskutierten die Folgen. Wenn ich nicht mehr gelähmt wäre, könnten wir nicht mehr mit der Bahre Waren schmuggeln. Das war aber nur kurz eine Überlegung. Wir waren uns schnell einig, dass der Gewinn an Lebensqualität für mich viel wertvoller wäre als die Einnahmen durch den Schmuggel. Hier zeigte sich, dass wir wirkliche Chaverim waren. Der Beschluss war einstimmig: Sobald Jesus wieder nach Hause kommt, wenden wir uns an ihn und bitten ihn um Hilfe.
Nach ein paar Tagen war es dann auch soweit. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. „Jesus, der große Rabbi, ist wieder da.“ Wir machten uns sofort auf den Weg. Aber leider taten das auch viele andere und verstopften so die Straße, in der Jesus wohnte. Selbst der starke Elon konnte uns da keinen Weg durch die Menschenmasse bahnen. „So wird das nichts“, sagte Jona, „wir gehen in die Straße hinter dem Haus.“ „Und dann?“, fragte Gideon. „Dann steigen wir durch das Dach ein. Ich weiß, dass es sehr locker und leicht abzudecken ist.“ „Ich besorge schnell ein paar Taue“, sagte David und wollte schon losrennen. „Nicht nötig“, sagte Jona, „hinter Haus liegt schon seit Ewigkeiten ein ganzer Stapel davon.“ Was wären wir ohne Jona und seine Ortskenntnisse gewesen? Wir brauchten keine 10 Minuten, um den Plan umzusetzen. Keiner von uns dachte dabei daran, dass Jesus vielleicht sauer sein könnte, wenn wir sein Dach abdecken. Mir wurde erst bewusst, was wir da gemacht hatten, als ich auf meiner Trage direkt vor ihm lag. Er sah mich so durchdringend an, dass es mir abwechselnd heiß und kalt über den Rücken lief. Ich brachte kein einziges Wort hervor und wartete nur darauf, dass er jetzt losschimpfen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, Jesus war tief beeindruckt von unserem Einsatz und begrüßte uns freundlich mit „Schalom Chaverim“. Dann fügte er hinzu: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ Ich sah ihn, immer noch unfähig zu sprechen, fragend an: „Gilt das auch für meine Freunde?“ Jesus nickte freundlich und wiederholte nochmal die Begrüßung: „Schalom Chaverim“. Mir wurde dabei auf einmal ganz warm ums Herz. An meine Behinderung dachte ich in dem Moment gar nicht mehr. Das galt aber nicht für die anwesende Masse. Vor allem den Pharisäern unter ihnen fiel die Kinnlade herab. „Das war doch Gotteslästerung“, dachten sie, „nur Gott kann Sünden vergeben“. Jesus konnte ihre Gedanken lesen und fragte sie mit einem durchdringenden Blick: „Warum habt ihr so böse Gedanken? Was ist denn einfacher? Zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben! oder: Steh auf und geh umher!? Aber ihr sollt sehen, dass der Menschensohn von Gott Vollmacht bekommen hat. So kann er hier auf der Erde den Menschen ihre Sünden vergeben.“ Dann wandte er sich an mich und sagte: „Steh auf, nimm deine Trage und geh nach Hause!“ In dem Moment spürte ich eine bis dahin unbekannte Kraft in meinen Beinen. Ganz vorsichtig stellte ich erst das rechte Bein und dann das linke auf den Boden, und dann erhob ich mich, erst noch etwas wackelig, dann aber vollkommen sicher. Ich fühlte mich so als ob ich nie gelähmt gewesen wäre. Meine Freunde strahlten um die Wette und begannen gleich das Dach wieder zuzudecken, bevor sie nach unten kamen um mich zu umarmen.

Unser Schmuggelgeschäft war nun natürlich vorbei. Es war doch klar, dass wir als Freunde von Jesus keine krummen Dinger mehr drehen konnten. Aber wir blieben trotzdem die alten Chaverim und gründeten ein ehrliches Import-       Exportgeschäft, bei dem wieder jeder seine speziellen Fähigkeiten einbringen konnte. Elon baute seine wunderschönen Möbel, die in unserem Geschäft ein richtiger Verkaufsschlager wurden. Jona und David sorgten für die guten Kontakte zu unseren Kunden diesseits und jenseits der Grenze. Gideon sorgte für den sicheren Transport der Waren, und ich kümmerte mich um die Finanzen. Anfangs kamen die meistens Kunden, weil sie von unserer Geschichte gehört hatten und uns kennen lernen wollten. Einige, die damals selbst dabei waren, kamen auch um zu sehen, ob meine Lähmung nicht wiedergekommen wäre. Gelegentlich gab es noch Anfragen von ehemaligen Kunden nach illegalen Waren oder illegalen Transporten, die wir aber energisch ablehnten. Dadurch erwarben wir uns mit der Zeit den Ruf als ehrliche und zuverlässige Händler, und unser neuer Kundenkreis wuchs so sehr, dass wir nicht nur gut davon leben, sondern auch noch die Bedürftigen in unserer Gemeinde unterstützen konnten.

Projekte, die wir unterstützen

Opendoors

Open Doors unterstützt verfolgte Christen mit Selbsthilfe-Projekten, Literatur, Schulung von Leitern, hilft Gefangenen und den Familien ermordeter Christen. 

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Familie Schmid in Taiwan

Familie Schmid ging vor über 1 1/2 Jahren als Missionare nach Taiwan um einheimische Pastoren auszubilden.

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